Atracción de miradas en la rotonda


Die Kunst von
Miguel Sarasate hat
jeder Mallorca-Besucher
schon einmal gesehen
 DIE KUNST VON MIGUEL SARASATE

Hat jeder Mallorca-Besucher schon einmal gesehen

„Aber es gibt Käse und Wein!“, sagt Miguel Sarasate am Telefon. Es klingt, als wolle er die für den Vormittag angekündigten Besucher auf die Probe stellen: Kaffee ist was für bürgerliche Kleingeister, der Bohémien gibt sich den kreativen Schub gleich früh am Tage. Kein Problem. Wer mit Sarasate über Sarasate reden will, darf eben kein Spielverderber sein. Die klischeebehaftete Frühstücks-Ankündigung steht jetzt ebenso unverrückbar im Raum wie seine Kunstwerke in der Landschaft. Diese Monolithen muss man erstmal umfahren, um sich dem Menschen zu nähern, der dahinter steckt.

Jeder, der mit offenen Augen auf Mallorca unterwegs ist, kennt die tanzenden Metallfiguren im Kreisverkehr von Vilafranca de Bonany. Ein Ballett aus überdimensionalen Geschöpfen, die in den Himmel ragen. Manchmal entdeckt man beim Vorbeifahren, wie die Köpfe der rostigen Gebilde aufblitzen, wenn sie von den Strahlen der Abendsonne getroffen werden. Manchen dienen sie als Landmarke zur Wegbeschreibung. Aber niemand kann sie ignorieren. Und immer mal wieder fragt man sich: Wer hat die gemacht?


Simulation Bohéme



Also folgen wir ihren Spuren und landen im Atelier von Miguel Sarasate in Artá. Die telefonische Ankündigung hat er ernst gemeint. Den Rotwein teilt er mit Schwung in kleine Plastikbecher aus, der Käse samt Messer liegt zur Selbstbedienung auf dem Tisch. Der Meister zündet sich paffend eine Zigarre an, setzt eine der drei Brillen auf, die verstreut herum liegen, und mustert uns. Er sitzt zurückgelehnt auf einem der selbst geschweißten Stühle (die übrigens erstaunlich bequem sind), die Hände über dem Bauch verschränkt. Ganz der Genießer. „Brot gibt es nicht dazu“, lässt er uns wissen, „das macht dick. Dafür kann man mehr Käse essen.“ Mit jedem seiner Sätze gibt er die Agenda vor, alles geschieht nach seinen Regeln. Aber ein Berserker, der durch die Kunstlandschaft pflügt und Leute vor den Kopf stößt – das ist Sarasate nun gewiss nicht. Er hat sich offenbar eine Fassade gezimmert, die dem Bild entspricht, das die Welt in seinen Augen von einem Künstler erwartet, der Autodidakt ist und gelernt hat, Zäune zu schweißen. Selbst das „Künstlerfrühstück“ ist Teil der Provokation, in der sich Miguel Sarasate gefällt. Das Klischee bricht er schon, indem er an seinem Wein gerade ein paar Mal nippt und dezent am Käse knabbert. Nun wirkt das Stillleben auf dem Arbeitstisch selbst wie eine Kunstinstallation: Simulation Bohéme.


„Ich lasse mir nicht vorschreiben, wie ich reden soll.“


„Ich bin eine ganz normale Person“, beginnt er und erwähnt im gleichen Atemzug seine Gastprofessur am Instituto Superior de Arte (ISA) in Havanna. Das ist kein Widerspruch, wenn man bedenkt, wie Miguel Ginard Cortés, genannt Sarasate, geboren 1952 in Saragossa, auf diesen Lehrstuhl kam. Im Jahr 1995 war er das erste Mal in Kuba. Anfangs arbeitete er in der Taller Experimental de Gráfica de La Habana, als eines Tages der Dekan des ISA vorbei kam und ihn fragte, was er von der Werkstatt im Institut halte. „Kommt darauf an, was Sie hören wollen“, gab Sarasate zurück, „meine Meinung oder das was Ihnen gefällt?“
„Ich habe den Kubanern beigebracht, mit Metall zu arbeiten – Material, Schweißen, Arbeitssicherheit. Da habe ich nicht über Kunst gesprochen, sondern über Technik.“ Auf Mallorca, seiner Heimat, darf er nicht an der Uni unterrichten. „Weil ich nur Castellano spreche. Also natürlich kann ich auch Mallorquinisch, aber ich lasse mir nicht vorschreiben, wie ich reden soll.“
Mit seiner Direktheit überbrückt Miguel Sarasate in gewisser Weise die Kluft zwischen seiner Herkunft und seinem Ruhm. Seine Zitate könnte man in Wände meißeln: „Ich komme gern schnell zum Kern. Zu einem Galeristen sage ich: Wieviel Prozent kriegst du, wieviel kriege ich. Das ist die Kunst.“ oder „Ich bewege mich außerhalb der großen Kunstwelt, die sind alle so wichtig.“ und „In der Philosophie der Kunst masturbiert jeder für sich alleine.“

„Er hat zu viele Vögelchen im Kopf.“



Seine erste Skulptur erschuf Miguel im Alter von zehn Jahren – und damit begann der Ärger schon. Ein Skelett aus Schrauben, in einer Hand hielt es eine Sense, daran war eine Blume. In der anderen Hand eine Uhr. „Alle meine Mitschüler haben Mama, Papa und die Sonne gemalt. Und ich sowas.“ Zwei Psychologen kamen daraufhin, um ihn zu begutachten. In Absprache mit den Lehrern stellten sie fest, dass der kleine Miguel überbegabt sei und gefördert werden müsse. 
Der Mutter gefiel die frohe Botschaft allerdings nicht: „Mein Sohn hat jetzt schon zu viele Vögelchen im Kopf. Er sollte daran denken zu arbeiten und Geld zu verdienen.“ Sarasate lächelt jetzt tatsächlich. „Ich nehme das meiner Mutter nicht übel, im Gegenteil. Sie hatte ihre eigene Art von Weisheit. Es herrschte Hunger in der Franco-Zeit, sie musste viel arbeiten – da blieb keine Zeit für Kunst.“

„Ich will nicht verstecken, wer ich mal war.“


Später allerdings brach sich die Kunst doch Bahn, und zwar bei Vater und Sohn gleichermaßen. Miguel und Juan Sarasate bestritten 1973 eine Gemeinschaftsausstellung. „Ich habe ihn sozusagen angestiftet. Er hatte eine Werkstatt für Zäune und sowas, aber als er mit Skulpturen begann, habe ich mich aus Respekt vor seinen Arbeiten aus der Kunst zurückgezogen.“ Dem Künstler Juan „Sarasate“ Ginard Ferrer verdankt Palma die riesige „Friedensmaria“ von Na Burguesa im Stadtteil Gènova.

Erst nach dem Tod des Vaters 1990 startete Miguel durch. Allein 1993 nahm er an fünf Ausstellungen teil. Und in diesem Aufschwung beschloss er, seine Karosserie-Werkstatt ein für allemal dicht zu machen. „Mir war klar: Wenn ich noch was machen will im Leben, muss ich jetzt anfangen.“ Seither lebt er mit und von der Kunst. Er präsentierte seine Arbeiten in Deutschland, Paris, Mexiko, Russland und den USA. „Am Anfang habe ich festgestellt, dass ich über meine Kunst nicht reden konnte, weil ich so wenig wusste. Heute spreche ich über das Thema mit profundem Wissen. Jetzt weiß ich wer ich bin, will aber nicht verstecken, wer ich mal war.“


Lichtmomente im Verkehrsalltag



Zu der Kunst im Öffentlichen Raum kam Sarasate durch einen Fan in den Reihen der Tiefbau-Ingenieure. „Als vor zehn Jahren bei der Reparatur der Straße nach Canyamel eine Rotonda hinzugefügt wurde, fanden die Ingenieure die Stelle kahl und hässlich. Man sollte doch Künstler fragen, sie zu verschönern. Einer schlug mich vor. Auf die Anfrage bin ich nur eingegangen, als mir zugesichert wurde, dass ich alle künstlerischen Freiheiten dabei habe.“ Gut, dass sie ihm erteilt wurden. Die „Wächter von Canyamel“, der „Ball des Cultures“ von Vilafranca, die Bäume von Son Servera, die Mikado-Stäbe von Sant Lorenc de Cardassar oder auch der kleine Teufel in Artá sind wundervolle Unterbrechungen im Verkehrsalltag. 

Ihre Grundkörper bestehen aus „süßem“ Eisen, solches, das nur an der Oberfläche rostet. „Das zerbröselt nicht so wie das Eisen an den Balkonen am Meer“, brummt Sarasate. Die verchromten Elemente an den Skulpturen sorgen für Lichtmomente, wenn die Sonnenstrahlen die Köpfe der Tänzer oder die Lanzenblätter der Wächter zum Glänzen bringen. „Es macht mich zufrieden, dass die Leute ständig meine Werke sehen“, sagt er. „Die sind in dieser Form Gebrauchskunst.“

Das Atelier als magischer Ort



Sein Atelier in Artá, das schon weithin durch die Skulpturen-Gruppe auf der Terrasse des Hauses auszumachen ist, stellt sich als ein magischer Ort heraus. In den Nebenräumen und im Keller erinnern die Werkstätten an grobes Handwerk. Metallteile liegen herum, Maschinen warten auf ihren Einsatz. Aber dann, oben in den Galerie-Etagen, bekommt das harte Material auf einmal Flügel. Musiker-Skulpturen, deren ineinander geformte Körper und Instrumente eine Harmonie ergeben, die tatsächlich Töne zu erschaffen scheint. Man kann förmlich die kubanischen Straßenmusiker hören, denen die Figuren nachgebildet sind. Akrobatische Körper in gymnastischer Dynamik mit gestreckten Zehenspitzen, scheinbar erstarrt in der Bewegung. Erotische Darstellungen, Schamhaar aus Metall, das streichelzart wirkt. „Ich gebe meinen Werken in Ausstellungen keine Namen. Wenn die Leute fragen: Was ist das? Dann sage ich: Das was du siehst.“ 

Bei Sarasate in den Ausstellungsräumen ist Anfassen erlaubt. Und dieses Privileg sollte man in jedem Fall wahrnehmen. Denn wenn man das Metall berührt, fühlt es sich warm an. Erwacht Sarasates Kunst unter den Händen zum Leben? Vielleicht geht mit den Skulpturen eine ähnliche Verwandlung vor wie mit dem Künstler, wenn man seine Einladung zum Wein-und-Käse-Frühstück annimmt und bereit ist, seinen Geschichten zu lauschen. „Wenn du denkst, das Leben ist kurz, dann überlege, mit wem du es verbringst. Ich jedenfalls bin müde davon, mich im Spiegel der Eitelkeit zu betrachten.“

Miguel Ginard Cortés, genannt Sarasate
Atelier Artá, C/ Son Servera, 63
T: +34 689 29 81 12
Geöffnet Mo-Fr 17-19 Uhr (Eintritt frei)

FB @EstudioTallerSarasate

Text: Christiane Sternberg.

Fotos: Marcos Gittis


Ersterscheinung des Textes in El Aviso 3/2020

Kein Kommentar

Deja una respuesta